REVIEWS - GERMAN


    Rolling Stone September 2001

    Plappernde Mikrokosmen

    Irmin Schmidt & Kumo präsentieren schamlos unterhaltsame Kunst

    "He's my Schwiegerfather!" bescheidet Jono Podmore die unvermeidliche Frage nach der Vaterfigur Irmin Schmidt mit angenehm undeutscher Heiterkeit. "Wenn man die Tochter von jemandem heiratet, ergeben sich ja automatisch familiäre Verbindungen". Darüber hinaus, sagt Schwiegervater, der alles andere ist als ein behäbiges Väterchen Can, halten beide nichts von Hierarchien und sind froh, nicht damit konfrontiert zu sein: "Das wäre ja total kontraproduktiv. Ich will Leute um mich, die mich infrage stellen und nicht alles akzeptieren, was ich sage. Ich will nicht bewundert werden!"

    "Wir fühlten uns nicht mal unterschiedlichen Generation zugehörig", sagt Podmore a.k.a. Kumo, ein waschechter Liverpudlian, der das japanische Wort für Wolke wegen der Parallelen zur Musik ­ Aggregatzustand, Potenzial, Elektrizität ­ zu seinem Pseudonym machte. "Unsere Ideen und Ideale sind die gleichen."

    Was vielleicht die gute Atembarkeit der eigentlich sehr " dicken "Musik auf dem Debüt des Duos, "Masters Of Confusion", erklären könnte. Ein Stockhausen-Schüler und Forte-Pianist auf den flitzenden Breakbeats eines Mittsechziger-Jahrgangs mit HipHop, Drum & Bass und klassischer Ausbildung in der Biografie. Ein Hin und Her zwischen Warp und Webern, dunkler Textur und plappernden Mikrokosmen.

    "Ein ständiger polyrhythmischer Dialog", erläutert Schmidt und beginnt damit einen verbalen. "Die Form, die sich aus der Improvisation entwickelt, ist in jedem Konzert eine andere, total unvorhersehbar." Kumo: "Ich habe meine Ausrüstung so frisiert, dass ich in Echtzeit programmieren kann. Wir können also flexibel sein, direkt aufs Publikum reagieren. Es ist das dritte Bandmitglied."

    Irmin traf Jono auf der Suche nach einer Person für Elektronik, Mix und Programming seiner Fantasy-Oper " Gormenghast" (1998). Jung sollte sie sein, diese Person, und über breit gefächerte musikalische Erfahrung verfügen, damit es nicht altbacken würde, man sich andererseits trotzdem verständigen könnte. Das Konzept geht auf, ist ebenso Kunst wie schamlos unterhaltsam.

    "Wir bemühen uns, der Gegenwart mit Musik zu antworten, die aus allen Aspekten des zeitgenössischen Musikmachens besteht", erlärt Schmidt die stets gültigen Beweggründe seiner Arbeit seit Can. "Ihre Körperlichkeit ist mir genauso wichtig wie die formale Seite. Mal ist es aggressiv, mal schwebt es, aber es kann auch grooven!" Und wie.

    Rolf Jäger




    WOM Journal September 2001

    IRMIN SCHMIDT & KUMO
    Masters Of Confusion


    Es klimpert jemand sanft auf dem Piano, und im Hintergrund hört es sich an wie ein kaputter Wasserhahn. Dann wachsen aus dem Boden Rhythmen, aus Arabien vielleicht oder vom Balkan, denen das Piano neugierig folgt. Immer schneller, immer dichter, zwei Insekten auf dem Hochzeitsflug, nur beide nicht von derselben Art. Die Takte aus dem Orient sind irgendwann zu TripHop oder auch Drum 'n' Bass mutiert, das Piano klingt wie eine Sitar, aberwitzig schnell, aber nicht in Eile. Wer je an einem Tisch mit "Wizard" Irmin Schmidt (64) und seinem gut halb so alten Schwiegersohn Jono Podmore alias Kumo gesessen hat, bekommt zu mindest vage Vorstellungen davon, wie Stücke wie "Las plumas des Búho" entstehen können.

    Im Labor wahrscheinlich, wo sich die zwei vielleicht Auge in Auge gegenüber sitzen und auf die nächste Idee des Anderen lauern. Das ist derart spannend, dass es sogar auf Platte gebannt noch munter weiter knistert. Schmidt, einst mit Can zu Ruhm, sehr viel Lässigkeit und Aberwitz gelangt, denkt dann an all die Soundtracks seiner Solo-Karriere und erfindet im Geiste hewegte Bilder zu den Tönen. Kumo erinnert sich an die Tage als Produzent für Jamiroquai, The Shamen und Jhelisa, an sein TripHop-Label Psychomat und Nächte gemeinsamer Arbeit mit dem "Café del Mar" ­ Erfinder José Padilla. Was uns am Ende auf dem Silberteller serviert wird, dürfte einer jener wenigen Wegweiser in die musikalische Zukunft sein, die aus dem Durchschnitt ragen. Acht exquisite Exponate zwischen Klassik, Kubrick und 26. Jahrhundert, die Liebhabern von Schmidt wiederum auf die Knie zwingen und alle anderen mindestens wohlig irritieren. Die Masters of Confusion haben sich nicht ohne Grund so genannt ­ sie stiften wahrlich meisterhaft Verwirrung.

    Stefan Krulle




    aus   www.kultura-extra.de 1. September 2001

    Feuerwerk der Kontraste

    Zwei Meister ihres Faches haben sich gefunden. Der inzwischen 64 Jahre alte Irmin Schmidt, einst Keyboarder der Kölner avantgardistischen Rockformation Can,suchte 1997 für seine Fantasy-Oper Gormenghast einen Toningenieur, Programmerund Sounddesigner. Er entdeckte den 1965 in Liverpool geborenen Jonathan "Jono" Podmore,der sich den Künstlernamen Kumo zugelegt hat. Beide entwickelten neue musikalische Ideen, die sie auch gemeinsam auf der Bühne umzusetzen begannen.
    Schon die spannenden Auftritte 1999 bei den "Can Solo Projects" zeigten, dass die beiden Künstler mit einer eigentümlichen Mischung aus klassischen und elektronischen Elementen der Musikwelt innovative Klängebescheren.
    Mit "Masters of Confusion" ist ihre Zusammenarbeit nun endlich auf einem Tonträger verewigt.
    Auf den acht, gemeinsam komponierten Stücken brilliert Altmeister Irmin Schmidt am klassischen Konzertflügel und den Keyboards. Kumo sorgt mit zeitgemäßer elektronischer Programmierung für einen mitreißenden Klangteppich.
    Schon das erste Stück "Goatfooted Balloonman" zieht den Zuhörer mit der Mixtur aus Klassik und Elektronik in den Bann.
    Es folgen mit "Las Plumas del Búho" und "Burning Straw in sky" die ersten Höhepunkte des Werks voll überraschender Variationen und Improvisationen. Treibend und packend schlägt Schmidt bei monotoner rhythmischer Begleitung Kumos in die Tasten.
    Entspannend und atmosphärisch dicht schließen sich mit sparsamen Rhythmus vier ruhigere Aufnahmen an.
    Den krönenden Abschluss bildet "Either of the Survivor" mit einer nochmaligen Tempoverschärfung hin zu einem furiosen Finale.
    Souverän bewältigen die beiden Musiker die Gratwanderung vielfältige, mitunter sperrig kontrastierende Musikstile unter einen Hut zu bringen. Irmin Schmidt und Kumo - ein delikater Kontrast.

    Lothar Pützstück




    Jazzthetik September 2001

    IRMIN SCHMIDT & KUMO   :   MASTERS OF CONFUSION

    Musik wider die Begrifflichkeit

    Eigentlich ist es kein Wunder, daß ausgerechnet Irmin Schmidt eine solche Platte veröffentlicht. Weit jenseits aller Begriffe, die doch nur die Masken von kategorisiertem Denken sind, ist "Masters of Confusion" ein musikalisches Niemandsland, daß keine Terra Incognita sein will. Can und Stockhausen auf der Loveparade? Darf man jetzt zur Neuen Musik tanzen? Breakbeats in der Philharmonie? Ja und immer wieder Ja! Und doch ist alles anders.

    "Ich sitze gern zwischen allen Stühlen, auch wenn es dort etwas unbequem ist", bekennt Irmin Schmidt. "Aber Bequemlichkeit kann auch ganz schnell in Stillstand umschlagen." Und gerade dagegen wehrt er sich schon sein ganzes musikalisches Leben. Den Ruhepunkt Privatleben, er ist schon fast 40 Jahre mit der gleichen Frau verheiratet, konterkariert er mit ständig neuen Herausforderungen in der Musik. Auch hier aber braucht er Partner wie er rückhaltlos bekennt. "Ich ziehe Menschen Maschinen vor, ebenso wie einem Schreibtisch mit Notenpapier. Musik hat für mich etwas Körperliches und Emotionales. Das jahrhundertelang im Stübchen komponiert wurde, ist nicht der Gegenbeweis, sondern diese Stücke wurden ja auch von einem oder mehreren Musikern gespielt und oftmals wurden sie direkt für einen Musiker komponiert. Wir kürzen diesen Prozeß jetzt lediglich ab, komponieren und spielen gemeinsam und manchmal sogar gleichzeitig.
    Dabei brauche ich immer Musiker um mich herum, von denen ich das Gefühl habe, der ist besser als ich, von dem kann ich was lernen und da passiert was. Als Dirigent und Komponist in der neuen Musik habe ich schon früh auch andere musikalische Ausdrucksweisen wahrgenommen, obwohl ich weder mit Rock noch mit Jazz direkte Erfahrungen hatte. Gerade im Rock und Jazz spürte ich damals eine starke Körperlichkeit, die ich in der sogenannten neuen Musik immer stärker vermißte. Also holte ich mir Kollegen, die für mich diese anderen Ausdrucksformen beherrschten und versuchte, dieser Körperlichkeit einen Körper zu geben ­ und das war dann Can." Natürlich gibt es auch in der sogenannten Neuen Musik auch Körperlichkeit, wie Irmin Schmidt eingesteht ­ in erster Linie bei Steve Reich und das Album "Masters of Confusion" erinnert auch stark an das Album "Reich Remixed". Eine Platte, die Steve Reich wohl gar nicht so sonderlich mag, wie Irmin Schmidt einwirft. "Aber die sogenannte Neue Musik, die als Hochkultur apostrophierte, hat nur ein sehr spezielles und kleines Publikum. Das ist ein Fakt und keine Polemik gegen irgend jemanden. Aber im Gegensatz zu denen schließe ich keine Ausdrucksform zeitgenössischer Musik aus. Jetzt mit Kumo ist etwas ähnliches passiert wie seinerzeit mit Can. Ich habe ja zwischenzeitlich eine Oper komponiert, die zwar nach dem Erstellen der Partitur am Schreibtisch von einem Orchester eingespielt, dann aber in elektronische Welten eingeschmolzen wurde. Dafür brauchte ich jemanden, der was von der Aufnahme an sich versteht, der das aber auch in gewisser Weise in Frage stellte und mir neuen Wind ins Hirn blies. Er mußte mit Stockhausen und Charlie Mingus ebenso etwas anfangen können, wie er mir die Bezugspunkte zu HipHop, Drum and Bass und Breakbeats eröffnen sollte ­ Dinge, die ich eher aus der Ferne beobachtet habe."
    Nach anderthalb Jahren gemeinsamer Arbeit an Irmins Oper "Gormenghast" war so viel Gemeinsamkeit entstanden, daß diese sich in weiteren Projekten Bahn brach. Und was erst als ein einmaliger gemeinsamer Auftritt von Irmin schmidt und Kumo im Rahmen der Can-Solo-Projekte gedacht war, nahm ein Eigenleben an. Ein spielerisches Eigenleben, wie Irmin Schmidt immer wieder betont, eine ständige Herausforderung in schrägen Rhythmen. "Wie beim Billard spielen wir Beide gerne mit Polyrhythmen. Jeder hat auf seinem Keyboard bzw. MPC die gleichen klanglichen Vorgaben gespeichert und jeder ruft die ab, wie er will. Spielt der eine von uns sie im 7er Takt, dann der andere bestimmt im 9er. Und wenn sich das eingegeroovt hat, steigt wieder einer mit vielleicht einem 13er dagegen. Und irgendwann trifft man sich auch mal wieder auf der Eins und dann fängt vielleicht ganz was Anderes an." So klingen denn bestimmte Stücke der Masters of Confusion stets anders. Nicht einmal die Disposition ist gleich. "Kumo kann sich immer wunderbar darüber aufregen, daß da Leute auf die Bühne kommen und ein Büro installieren, in dem jedes Ding immer seinen gleichen, ihm angestammten Platz hat und auch immer seinen gleichen, angestammten Zeitpunkt und Grund seines Einsatzes. Und während im Publikum die Leute Musik hören wollen, sehen sie vielleicht zwei Menschen vor einem Computerbildschirm sitzen und alles, was sie bewegen, ist die linke Hand mit der Computermaus."
    Und noch etwas vermißt er bei den Verfechtern des reinen Klangs und der reinen Le(e)hre ­ die Ecken und Kanten, an denen man sich sowohl als Mitmusiker als auch Teil des Publikums reiben kann. Denn Reibung ist bekanntlich etwas sehr Körperliches und sie erzeugt Wärme. Menschliche Wärme, die einigen anderen Musikern in der Suche nach dem ultimativen Ausdruck ihrer künstlerischen Erhöhung abhanden kam. Doch wer seinen seelischen Dschungel hinter sich läßt, wird niemals sich selbst finden. Nur in ihm findet man die spannenden Fragen und vielleicht auch die Antworten. Musik als Quelle der Selbsterkenntnis ohne Transzendenz, ohne Jing und Jang. Ein großer Zeh ist immer ein großer Zeh und der kann tanzen, weil er körperlich ist. Überhaupt scheint Irmin Schmidt gemeinsam mit Kumo seinem Ideal, der gleichberechtigten Verbindung von Kopf-(oder E-)Musik mit der Bauch-(oder U-)Musik auf Masters of Confusion so nahe gekommen zu sein wie vielleicht noch nie zuvor. Vielleicht erscheint es doch auch nur so, verschieben sich doch Ansatzpunkte und Sichtweisen ständig. War Jazz einst Körpermusik, so ähnelt er heute bei einigen Musikern schon eher der erstarrten, körperlosen weil völlig vergeistigten Hülle, die die Klassik für sich beansprucht. Auf der anderen Seite ist aber auch Popmusik zeitweilig eine so am Computer designte und später mit gecasteten Akteuren angereicherte Massenware geworden, daß man auch ihr die Körperlichkeit wenigstens teilweise absprechen möchte. Die Leichtigkeit des Pop mit der Intelligenz der Klassik zu verbinden, mag vielen als Quadratur des Kreises erscheinen. Doch in diesem Album sind Irmin Schmidt und Kumo diesem Anspruch für den jetzigen zustand von U- und E-Musik erstaunlich nahe gekommen.
    Vielleicht liegt es auch ganz einfach daran, daß Kumo vielleicht im Augenblick ein perfekter Partner für Irmin Schmidt ist und seiner vermeintlichen Suche danach ist. "Ich fand immer den Satz aus einem Interview von Valerie sehr schön, der da besagte: 'Der liebe Gott schenkt einem die erste Zeile und der Rest des Gedichtes ist harte Arbeit.' Und so ist es! Es wird nur manchmal eine kleine Tür aufgemacht und man bekommt eine Ahnung davon, was man vielleicht weil. Der Rest ist es dann, diese Ahnung auszubauen."

    Und so gesehen ist es auch nicht der Anspruch von Irmin Schmidt und Kumo, eine in ihrem Wesen neue Musik zu erfinden, sondern darum, die bekannten Bausteine aus verschiedensten Epochen, Stilen und Einflüssen so miteinander neu zu kombinieren, daß eine zeitgemäße Basis daraus entsteht. Im günstigsten Augenblick kann man diese Basis dann auch als Ausgangsbasis benutzen. "Wir schöpfen aus einem riesigen Vorrat an Traditionen. Wir rebellieren nicht dagegen, sondern wir versuchen auf unsere eigene Art und Weise unsere Musik zu machen", so nennt es Irmin Schmidt. Ein Grundsatz, dem er in seiner gesamten künstlerischen Karriere treu geblieben ist ­ unabhängig vom jeweiligen Zeitgeschmack, von der jeweiligen Kombination mit anderen Künstlern, vom jeweiligen Instrumentarium, dessen man sich bediente. "es geht ja auch nicht darum, dieses ganze Wissen um die Traditionen zu vergessen, sondern es in neue Kontexte zu stellen. Das heißt ja nicht, daß man nicht auch mal für eine gewisse Zeit vergessen kann oder gar muß. Bei Can etwa mußte ich auch erstmal vergessen, daß ich eigentlich Dirigent war. Aber wenn man ernsthaft zu zweit in so einer Reibungsformation arbeitet, dann muß zwangsläufig etwas Neues dabei entstehen. Ansonsten wird man bequem und ruht sich darauf aus, was man gelernt hat. Nur muß sich das von selbst ergeben, man kann das nicht wollen." Und da man das nicht erzwingen kann, spielen die Beiden wie kleine Jungs mit ihren bunten Bausteinen. Die Entstehung von "Burning straw in sky" mag dafür exemplarisch sein. "Es war eines Vormittags", erinnert sich Irmin Schmidt, "da war ich gerade aufgestanden, so wie ich immer später aufstand und Kumo war noch im Studio, weil er immer bis in den Morgen hinein arbeitete. In der Nacht hatte er einen ganz faszinierenden Rhythmus gebaut. Eine Keimzelle von einem Rhythmus. Den fand ich so toll, daß ich mich sofort ans Klavier setzte und etwas dazu spielte. Daraus ist im Wesentlichen das erste Klaviersolo des Stückes geworden."
    Als dann irgendwann auch Kumo den Weg in das Hotel gefunden hatte, in dem das Interview statt fand, wurde die Situation völlig klar. Er, der eigentlich vom Alter her Irmins Sohn sein könnte, interessiert sich weniger für den intellektuellen Überbau. Er ist ein Tüftler, der in großen Zügen denkt und weniger im Detail. Sein Wissen scheint eher aus einer Neugier heraus entstanden zu sein, womit er auch anders als der Studierte darüber verfügt. Erst jetzt werden die Spannungen zwischen den beiden Musikern richtig klar, wird die Reibungsfläche sichtbar. Und die wird von Beiden gesucht. Eine gemeinsame Arbeit an zwei voneinander getrennten Orten wäre nicht denkbar. "Überhaupt", so Irmin Schmidt, "wage ich zu bedenken, daß so eine Arbeit wirklich eine gemeinsame und gleichberechtigte ist. Da kann der Groove doch irgendwie nicht stimmen, denn Groove ist doch etwas Körperliches, drückt sich in Gesten aus, auf die man reagieren muß. Die Gestik und Körperlichkeit muß also präsent sein. Genau daraus entsteht dann ja auch später diese unerklärliche Spannung zwischen Künstler und Publikum. Diese ganze Arbeit ist wie mit jemanden tanzen. Ich kann nicht jemanden anrufen, mich mit ihm verabreden, daß er genau die gleiche Platte in San Franzisko auflegt wie ich bei mir und dann fangen wir an, miteinander zu tanzen. Das ist wie Telefonsex. Man kann nicht wirklich behaupten, daß das Vögeln genannt werden kann! Das ist der ganze Unterschied!" Und Kumo ergänzt lakonisch: "Aber es ist genau so nützlich und genau so produktiv".

    Da bleibt keine Frage mehr offen und sämtliche Widersprüche oder Unterschiede zwischen körperlicher und vergeistigter Musik sind auf das Wesentliche reduziert. Die wunderbare Welt der Schwerkraft hat über den Technologieglauben gesiegt. Wieder einmal.

    Thorsten Bednarz




    Der Tages Spiegel ­ 21.März 1999

    Ausschnitt aus einer Kritik zu den
    CAN-Solo-Projekt-Konzerten in Berlin März 1999
    über das Duo Irmin Schmidt & Kumo


    Daß man auch ohne Drogen ordentlich trippen kann, beweist Irmin Schmidt. Natürlich ist auch der Can-Keyboarder älter und dicker geworden. Trotzdem macht er im neuen Jungle-Gewand eine prima Figur. Während sich seine Baßtöne langsam heranschleichen, drückt Schmidt noch ein bißchen auf seinem Elektronikspielzeug herum, das er auf seinem Piano abgestellt hat.

    Dann haut er in die Tasten, beginnt mit grazilen orientalischen Figuren, um sich schließlich zu einer Spieltechnik zu steigern, die an Handkantenschläge erinnert. Schmidt liefert die Rechtfertigung dafür, daß Can heute auch im Techno-Lexikon stehen. Diesen Oldie kann man zu jedem Rave einladen.

    von Andreas Krieger




    IRMIN SCHMIDT & KUMO
    "Masters Of Confusion" Spoon 45 - VÖ: 3.9.2001

    Ein Grundmissverständnis zeitgenössischer Musikbetrachtung besteht darin, dass Improvisation allein dem Jazz zugeordnet wird. Bestenfalls indischer und afrikanischer Musik billigt man noch improvisierte Momente zu. Aber bei der europäischen Klassik hört es absolut auf. Dass Bach und Chopin genau wie viele andere Komponisten der europäischen Tradition nur deshalb so ein reiches Werk hinterließen, weil sie eben hervorragende Improvisatoren waren, wird entweder unter den Tisch gekehrt oder immer noch wie eine Neuigkeit weitergegeben, deren Seriosität längst nicht gesichert ist. Irmin Schmidt und Kumo, die Masters Of Confusion, räumen mit diesem Vorurteil auf. Ihre Musik leitet sich unmittelbar aus der europäischen klassischen Musik her, ist jedoch zugleich derart futuristisch, dass sämtliche bekannte Kategorien versagen. Konfusion als Urzustand für eine Umwertung aller Werte. Aus dem Chaos entsteht die Ordnung, aus der Konfusion die Struktur, möglichst ohne Hierarchien. Der Einklang des sich Ausschließenden setzt Energien frei, die den musikalischen Augenblick nachhaltig verändern. Schmidt und Kumo nehmen eine Kammwanderung zwischen den weiten, vermeintlich längst vermessenen Territorien der Klassik und den gerade erst rudimentär freigelegten Nebelfeldern von Dance und elektronischer Musik vor. Schmidts Konzertpiano hat Wucht, Volumen und Pathos eines Klavierkonzertes von Tschaikowski. Nur seine Klangumgebung ist eben nicht die eines Orchesters, sondern ein von Kumo generiertes Ensemble, hier kosmisch, da minimalistisch reduziert eingesetzter elektronischer Soundimaginationen. Dabei verfallen sie nicht dem Kitsch und den Klischees einiger Apologeten der siebziger Jahre, weil sie sich nicht von einer wie auch immer gearteten Rock- oder Pop-Musik zur Klassik hin bewegen, sondern, von der unmittelbaren Erfahrung der Klassik kommend, eine neue Musiksprache initiieren. Das Prinzip, auf dem die beiden Welten in Übereinstimmung gebracht werden, beruht auf spontanen Abläufen, sprich Improvisation. Sie improvisieren jedoch nicht im Sinne einer Jazzband mit Akkorden und Phrasen, stellen kein Thema vor, das dann in der Solo-Improvisation moduliert wird. Die Musiker wechseln sich ebensowenig dabei ab, einander bei ihren Improvisationen zu begleiten, wie sie ihren jeweils eigenen Expressionen im Sinne der frei improvisierten Musik oder des Free Jazz folgen würden. Irmin Schmidt und Kumo verstehen sich auch nicht als Duo. Sie sind vielmehr ein zweiköpfiges Orchester, das einen spontanen Umgang mit ineinander verzahnten Abläufen, Strukturen, Klängen und Arrangements pflegt. Welche Intention auf welchen Ausgangspunkt zurückgeht, ist dabei völlig unmaßgeblich, zumal sich Schmidt nicht auf das Piano allein beschränkt, sondern über ein separates keyboard eine breite Palette von Samples abruft. Die Musik schafft und dirigiert sich selbst, die Künstler sind kreative Katalysatoren im Dienste der Musik. Die Geschichte von Irmin Schmidt ist hinlänglich bekannt. Der Schüler von Karlheinz Stockhausen war als Komponist und herausragender Interpret der klassischen Moderne und Neuen Musik international geschätzt, schmiss jedoch seinen Job als Kapellmeister und Dirigent in Aachen, um mit Can eine Band zu gründen, die mit frei improvisiertem
    Rock experimentierte. Spontanes Komponieren unter voller Ausnutzung aller zur Verfügung stehender technischer Gegebenheiten und Ausdrucksmittel war schon zu Can-Zeiten Schmidts Maxime. Mit ihrer im wahrsten Sinne des Wortes "Neuen Musik" revolutionierten Can die Pop-Musik bis heute. Wie tiefgreifend, kann man nicht zuletzt an dem 1997 veröffentlichten Remix-Album "Sacrilege" ersehen, auf dem Sonic Youth, A Guy Called Gerald, U.N.K.L.E., The Orb und zahlreiche andere Künstler und Projekte Can ihren Tribut erwiesen. Mit seiner 1998 in Wuppertal uraufgeführten, fulminanten Fantasy-Oper "Gormenghast", für die Duncan Fallowell das Libretto geschrieben und Kumo als Toningenieur und Programmierer gearbeitet hatte, ging Schmidt bei der Erstellung einer neuen Musiksprache auf der Grundlage populärer Ausdrucksformen und des klassischen Geistes so weit wie noch niemand vor ihm. Die Wurzeln von Kumo, als Jono Podmore 1965 in Liverpool geboren, liegen ebenfalls in der klassischen Musik. Seit seinem zehnten Lebensjahr spielte er Violine und konnte sich somit breite Repertoire-Kenntnisse aneignen, die sein Formbewusstsein maßgeblich prägten. Bereits mit vierzehn führte er aber eine Parallelexistenz als Geiger von Rock-Bands und erweiterte sein Ausdrucksspektrum um das Spiel der Gitarre. 1983 begann er mit dem Studium der elektronischen Musik und trat vier Jahre später als Geiger der Indie-Band The Corn Dollies bei. Als gefragter Produzent und Arrangeur arbeitete er unter anderem für The Shamen, Jhelisa, D*Note und Jamiroquai. 1994 gründete er mit Mr. C von The Shamen die Watershed Studios in London und begann eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Label Plink Plonk Records. Als selbständiger Künstler fortan unter Kumo firmierend, gründete er das Drum'n'Bass-Label Autoi und das Triphop-Label Psychomat. Sein Debütalbum "Kaminari" sorgte 1997 nicht nur unter Kritikern für Aufsehen. Im selben Jahr begann die Zusammenarbeit mit Irmin Schmidt. 2000 veröffentlichte er auf dem Can-Label Spoon sein zweites, dichtes und doch von diszipliniertem Formwillen geprägtes Solo-Album "1 + 1 = 1". Zuletzt mixte er das neue Album von José Padilla "NAVIGATOR", dem Erfinder der berühmten Café de Mar ­ Compilations und kollaborierte mit Bomb The Bass. Die Anfänge der Masters Of Confusion liegen im Jahr 1999, als Kumo und Schmidt im Rahmen der Can Solo Projects Tour gemeinsam unterwegs waren. Vor dem erstaunten Publikum entlud sich ein Gewitter aus elektronischen Sounds und monumentalen Figuren auf dem Pianoforte. Breite Fronten von Vergangenheit und Zukunft schienen unmittelbar im Augenblick aufeinanderzuprallen und in ihrer Kulmination ungeheure Energien freizusetzen. Eine Fusion, die es in dieser Form noch nie gegeben hatte. Nach mehr als euphorischen Kritiken war es nur konsequent, das Projekt weiterzuentwickeln. Auch wenn der Begriff der Musik für das 21. Jahrhundert total abgegriffen ist, geht es Schmidt und Kumo doch um nichts weniger als eine universale Musik, die mit allen hierarchischen Prinzipien der Vergangenheit bricht, ohne auf die Errungenschaften einzelner Ausdrucksformen zu verzichten. In Zeiten kultureller Unwägbarkeiten ist es ein wichtiges Zeichen, mannigfaltige kulturelle, ethnische, traditionelle und technologische Bezüge gleichwertig nebeneinander zu stellen, um ein neues, internationales und Generationen übergreifendes Vokabular zu etablieren. Die Masters Of Confusion leiten das lange überfällige Ende der Postmoderne ein, indem sie Formen wieder mit Inhalten füllen und dem Hörer wieder die Möglichkeit geben, seiner Wahrnehmung mehr zu trauen als Medien und Musikmarkt, die dem Adressaten der Musik vorgeben, wie er zu hören und das gehörte einzuordnen hat. Die von Schmidt und Kumo postulierte Konfusion ist unter völlig anderen Vorzeichen das erfrischendste musikalische Manifest seit dem Punk.

    Wolf Kampmann



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